Sonntag, 25. Dezember 2011

Na, den

Heiligen Abend gut verbracht? Ich kann mich nicht erinnern, daß wir jemals so einen lustigen Abend hatten. Dank Yvis Text, den ich vorlesen wollte (die Betonung liegt auf wollte -  ich konnte leider vor lauter Lachen nicht weiterlesen, also mußte mein Sohn den Text zu Ende vortragen) war es ein für mich sicherlich  unvergessliches Beisammensein.. Ich möchte euch dies nicht vorenthalten:

Der Christbaumständer

Beim Aufräumen des Dachbodens - ein paar Wochen vor Weihnachten -entdeckte
ein Familienvater in einer Ecke einen ganz verstaubten, uralten
Weihnachtsbaumständer. Es war ein besonderer Ständer mit einem
Drehmechanismus und einer eingebauten Spielwalze. Beim vorsichtigen Drehen
konnte man das Lied „O du fröhliche“ erkennen. Das musste der
Christbaumständer sein, von dem Großmutter immer erzählte, wenn die
Weihnachtszeit herankam. Das Ding sah zwar fürchterlich aus, doch da kam
ihm ein wunderbarer Gedanke. Wie würde sich Großmutter freuen, wenn sie am
Heiligabend vor dem Baum säße und dieser sich auf einmal wie in uralter
Zeit zu drehen begänne und dazu „O du fröhliche“ spielte. Nicht nur
Großmutter, die ganze Familie würde staunen.

Es gelang ihm, mit dem antiken Stück ungesehen in seinen Bastelraum zu
verschwinden. Gut gereinigt, eine neue Feder, dann müsste der Mechanismus
wieder funktionieren, überlegte er. Abends zog er sich jetzt geheimnisvoll
in seinen Hobbyraum zurück, verriegelte die Tür und werkelte. Auf
neugierige Fragen antwortete er immer nur „Weihnachtsüberraschung“. Kurz
vor Weihnachten hatte er es geschafft. Wie neu sah der Ständer aus, nachdem
er auch noch einen Anstrich erhalten hatte. Jetzt aber gleich los und einen
prächtigen Christbaum besorgen, dachte er. Mindestens zwei Meter sollte der
messen. Mit einem wirklich schön gewachsenen Exemplar verschwand Vater dann
in seinem Hobbyraum, wo er auch gleich einen Probelauf startete. Es
funktionierte alles bestens. Würde Großmutter Augen machen!

Endlich war Heiligabend. „Den Baum schmücke ich alleine“, tönte Vater. So
aufgeregt war er lange nicht mehr. Echte Kerzen hatte er besorgt, alles
sollte stimmen. „Die werden Augen machen“, sagte er bei jeder Kugel, die er
in den Baum hing. Vater hatte wirklich an alles gedacht. Der Stern von
Bethlehem saß oben auf der Spitze, bunte Kugeln, Naschwerk und Wunderkerzen
waren untergebracht, Engelhaar und Lametta dekorativ aufgehängt. Die Feier
konnte beginnen.
Vater schleppte für Großmutter den großen Ohrensessel herbei. Feierlich
wurde sie geholt und zu ihrem Ehrenplatz geleitet. Die Stühle hatte er in
einem Halbkreis um den Tannenbaum gruppiert. Die Eltern setzten sich rechts
und links von Großmutter, die Kinder nahmen außen Platz. Jetzt kam Vaters
großer Auftritt. Bedächtig zündete er Kerze für Kerze an, dann noch die
Wunderkerzen. „Und jetzt kommt die große Überraschung“, verkündete er,
löste die Sperre am Ständer und nahm ganz schnell seinen Platz ein.

Langsam drehte sich der Weihnachtsbaum, hell spielte die Musikwalze „O du
fröhliche“. War das eine Freude! Die Kinder klatschten vergnügt in die
Hände. Oma hatte Tränen der Rührung in den Augen. Immer wieder sagte sie:
„Wenn Großvater das noch erleben könnte, dass ich das noch erleben darf.“
Mutter war stumm vor Staunen.
Eine ganze Weile schaute die Familie beglückt und stumm auf den sich im
Festgewand drehenden Weihnachtsbaum, als ein schnarrendes Geräusch sie jäh
aus ihrer Versunkenheit riss. Ein Zittern durchlief den Baum, die bunten
Kugeln klirrten wie Glöckchen. Der Baum fing an, sich wie verrückt zu
drehen. Die Musikwalze hämmerte los. Es hörte sich an, als wollte „O du
fröhliche“ sich selbst überholen. Mutter rief mit überschnappender Stimme:
„So tu doch etwas!“ Vater saß wie versteinert, was den Baum nicht davon
abhielt, seine Geschwindigkeit zu steigern. Er drehte sich so rasant, dass
die Flammen hinter ihren Kerzen herwehten. Großmutter bekreuzigte sich und
betete. Dann murmelte sie: „Wenn das Großvater noch erlebt hätte.“ Als
Erstes löste sich der Stern von Bethlehem, sauste wie ein Komet durch das
Zimmer, klatschte gegen den Türrahmen und fiel dann auf Felix, den Dackel,
der dort ein Nickerchen hielt. Der arme Hund flitzte wie von der Tarantel
gestochen aus dem Zimmer in die Küche, wo man von ihm nur noch die Nase und
ein Auge um die Ecke schielen sah. Lametta und Engelhaar hatten sich
erhoben und schwebten wie ein Kettenkarussell am Weihnachtsbaum. Vater gab
das Kommando „Alles in Deckung!“ Ein Rauschgoldengel trudelte losgelöst
durchs Zimmer, nicht wissend, was er mit seiner plötzlichen Freiheit
anfangen sollte. Weihnachtskugeln, gefüllter Schokoladenschmuck und andere
Anhängsel sausten wie Geschosse durch das Zimmer und platzten beim
Aufschlagen auseinander.

Die Kinder hatten hinter Großmutters Sessel Schutz gefunden. Vater und
Mutter lagen flach auf dem Bauch, den Kopf mit den Armen schützend. Mutter
jammerte in den Teppich hinein: „Alles umsonst, die viele Arbeit, alles
umsonst!“ Vater war das alles sehr peinlich. Oma saß immer noch auf ihrem
Logenplatz, wie erstarrt, von oben bis unten mit Engelhaar und Lametta
geschmückt. Ihr kam Großvater in den Sinn, als dieser 14-18 in den Ardennen
in feindlichem Artilleriefeuer gelegen hatte. Genau so musste es gewesen
sein. Als gefüllter Schokoladenbaumschmuck an ihrem Kopf explodierte,
registrierte sie trocken „Kirschwasser“ und murmelte: „Wenn Großvater das
noch erlebt hätte!“ Zu allem jaulte die Musikwalze im Schlupfakkord „O du
fröhliche“, bis mit einem ächzenden Ton der Ständer seinen Geist aufgab.

Durch den plötzlichen Stopp neigte sich der Christbaum in Zeitlupe, fiel
aufs kalte Buffet, die letzten Nadeln von sich gebend. Totenstille!
Großmutter, geschmückt wie nach einer New Yorker Konfettiparade, erhob sich
schweigend. Kopfschüttelnd begab sie sich, eine Lamettagirlande wie eine
Schleppe tragend, auf ihr Zimmer. In der Tür stehend sagte sie: „Wie gut,
dass Großvater das nicht erlebt hat!“
Mutter, völlig aufgelöst zu Vater: „Wenn ich mir diese Bescherung ansehe,
dann ist deine große Überraschung wirklich gelungen.“ Andreas meinte: „Du,
Papi, das war echt stark! Machen wir das jetzt Weihnachten immer so?“

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